Pressemitteilung | Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA)

Versorgungsdefizite im Arzneimittelbereich

(Berlin) - "Die Arzneimittelbudgets müssen weg - zumindest aber müssen die regionalen Budgets in diesem Jahr deutlich aufgestockt werden, damit die Patienten in Deutschland Zugang zum medizinischen Fortschritt haben und die Versorgungsdefizite im Arzneimittelbereich reduziert werden", forderte die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Cornelia Yzer, bei der Vorstellung der VFA-Dokumentation "Defizite in der Arzneimittelversorgung in Deutschland" am 26. Juni in Berlin. Andernfalls drohe eine Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen. Es reiche nicht mehr aus, seitens des Bundesgesundheitsministeriums und der Koalitionsparteien die Budgets zwar immer häufiger als Notlösung zu beklagen, zukunftsfähige Alternativen aber nicht auf den Tisch zu legen.

Die Dokumentation der forschenden Arzneimittelhersteller weist in insgesamt 13 Indikationsgebieten zahlreiche Fälle mit deutlichen, teilweise dramatischen Versorgungsdefiziten auf. "Defizite", so Yzer, "haben wir dokumentiert, wenn es für die Therapie der jeweiligen Krankheit international anerkannte, evidenz-basierte Standards gibt, von denen in der Realität abgewichen wird." Die Zusammenstellung erhebe keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Als ein Beispiel für die dramatische Unterversorgung nannte Yzer das Indikationsgebiet Alzheimer, in dem bereits seit fünf Jahren die Behandlung mit Präparaten der neuen Wirkstoffgruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE-H) möglich ist. Diese ermöglichen es Alzheimer-Patienten, länger selbständig zu bleiben. Damit kann die Einweisung in ein Pflegeheim um mindestens ein Jahr verzögert werden. Neben dem Nutzen für den Patienten bedeutet dies auch Kostenvorteile für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV).1997 litten zwischen 600.000 und 800.000 Menschen an einer Alzheimer-Erkrankung. Darunter befanden sich 325.000 Menschen in einem leichten bzw. mittelschweren Stadium - sie wären somit für eine Behandlung mit AChE-Präparaten in Frage gekommen.

Tatsächlich wurden damit jedoch lediglich ca. 40.000 Patienten behandelt - ein Anteil von ca. 12 Prozent. Auch der Vergleich zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung zeige, so Yzer weiter, den Zusammenhang zwischen Budget und Unterversorgung: 1999 entfielen bei Alzheimer-Patienten in der GKV unter Budget-Bedingungen lediglich 18,5 Prozent der Verordnungen auf die innovativen AChE-Hemmer, die PKV dagegen finanzierte ohne derartige Budgetierung immerhin 35,4 Prozent der Verordnungen mit diesen neuen Präparaten.

Weitere Versorgungsdefizite gebe es auch bei den koronaren Herzerkrankungen: Die präventive Senkung des Lipidspiegels bei zu hohen Cholesterinwerten durch sogenannte Statine werde vernachlässigt. Obwohl drei Studien bestätigten, dass durch Statine jeder dritte Rückfall bei an koronarer Herzkrankheit Leidenden verhindert werden könne, seien von 91 Prozent der für eine Statine-Behandlung in Frage kommenden Patienten lediglich 28 Prozent mit diesen Medikamenten behandelt worden und nur 4 Prozent erhielten eine dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Therapie. Der stärkere Einsatz dieser innovativen Medikamente könne auch hier für die Sozialversicherungen zu deutlichen Kostensenkungen führen, wie eine Studie des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie zeige, so Yzer weiter: "Wären beispielsweise alle Infarktpatienten 1996 mit Statinen behandelt worden, hätte dies zu Kostensenkungen von fast 1,5 Milliarden DM in einem Zeitraum von fünf Jahren geführt."

Dramatisch sei die Versorgungssituation auch im Indikationsgebiet Schmerz: Von rund 550.000 Patienten, die stark wirkende Opioide brauchten, erhielten nur 3,6 Prozent die erforderliche Behandlung.

Schließlich verwies Yzer auf eine Studie, die das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen im Auftrag der Gmünder Ersatzkasse (GEK) erstellt hat. Danach ist "jeder Vierte gesetzlich Versicherte in Deutschland von Unterversorgung betroffen", so Yzer. Von 57,9 Prozent der Befragten, die im letzten Quartal 1999 in Behandlung waren, wurden 27,4 Prozent Arznei- oder Heilmittel, die sie bisher erhalten hatten, verweigert oder auf das Jahr 2000 verschoben. 11 Prozent wurden sogar bisher erhaltene Arzneimittel verweigert, ohne dass dafür alternative Behandlungsmöglichkeiten gewährleistet wurden.

"Sparen unter Budget provoziert Unterversorgung der Patienten", erklärte Yzer und nannte weitere Beispiele: "65 Prozent aller an schweren Depressionen erkrankten Patienten sind unterversorgt. Von 30.000 Erkrankten, bei denen Hepatitis C diagnostiziert wurde, werden lediglich 10.000 medikamentös adäquat behandelt. Mehr als 2,5 Millionen Asthmatiker werden medikamentös mangelhaft betreut. Aufgrund der ungenügenden ambulanten und medikamentösen Behandlung erblinden jährlich 6.000 Typ-2-Diabetiker, 8.000 werden dialysepflichtig, bei 28.000 werden Gliedmaßen amputiert, 27.000 erleiden einen Herzinfarkt und 44.000 einen Schlaganfall."

Zwar zeigten sich auch Gesundheitspolitiker aus den Reihen der Regierungsparteien betroffen, wenn sie mit Einzelfällen von Unterversorgung konfrontiert würden. "Betroffenheit im Einzelfall aber reicht nicht mehr aus", betonte Yzer, "entscheidend ist, dass sofort damit begonnen wird, die Versorgungsdefizite zu beseitigen!"

Dazu sei es vor allem notwendig, so Yzer, dass Innovationen bei der Budgetfestsetzung ausreichend berücksichtigt werden. Dies sei in den letzten Jahren nicht geschehen, wie eine Studie von Prof. Eberhard Wille, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Konzertierten Aktion für das Gesundheitswesen, eindeutig belegt habe. Der VFA habe die Wille-Studie fortgeschrieben. Ergebnis: "Allein um die Innovationen in der Arzneimitteltherapie an die Patienten weitergeben zu können, müssten die Budgets jährlich mindestens um vier Prozent angehoben werden", erklärte Yzer.

Angesichts der noch laufenden Verhandlungen über das Budget 2000 appellierte die VFA-Hauptgeschäftsführerin an die Verantwortlichen, die Budgets, wenn sie schon nicht abgeschafft würden, zumindest bedarfsgerecht auszugestalten.

Quelle und Kontaktadresse:
Pressekontakt: VFA, Edgar Muschketat, Tel.: 030/20604-204, Fax: 030/20604-209

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