Verbändereport AUSGABE 2 / 2012

„Wir sind ein komplett neuer Verband“

Eine Gesprächsreihe mit Experten: Marianne Tritz, DZV

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Ein Verband löst sich auf und wird neu gegründet. Verbandsgeschäftsführerin wird eine grüne Bundestagsabgeordnete. Sie wollte vieles anders machen. Heute sieht sich die Industrie im Überlebenskampf mit der EU. Es gibt viele Gründe, sich mit Marianne Tritz, Geschäftsführerin des Deutschen Zigarettenverbandes DZV, zu unterhalten. Henning von Vieregge hat in der Artikelserie „Verbändereport Gespräch“ Verbandsgeschäftsführer interviewt.

VR: Ich kenne keinen Parallelfall: Ein Verband wird aufgelöst und ein oder zwei Jahre später ein Nachfolgeverband aus der Taufe gehoben. Was muss passieren, damit so was passiert?

TRITZ: Wenn bei einem Verband mit sehr wenigen Mitgliedern der Marktführer (Philip Morris International) aussteigt, führt dies zwangsläufig dazu, dass man sich neu ordnet, neu organisiert und die Marschrichtung neu definiert.

VR: Bei Auflösung soll der Nachfolger nicht in die Pflicht genommen werden.

TRITZ: Wir sind kein Rechtsnachfolger, sondern ein komplett neuer Verband.

VR: Wenn eine Branche unter Druck gerät –
und diese Branche ist unter einen enormen Druck geraten – dann ist es naheliegend, den Verband als einen, der versagt hat, auszugucken. Kann es sein, dass man vielleicht zunächst nicht die Absicht hatte, wieder einen Verband zu gründen, und dann feststellte, es geht doch nicht ohne Verband?

TRITZ: Von Überlegungen der Industrie, ganz ohne nationalen Verband auszukommen, weiß ich nichts. Da der neue Verband bereits im Jahr nach der Auflösung des VDC gegründet wurde, gehe ich davon aus, dass den Unternehmen klar war, dass die deutsche Zigarettenindustrie einen Verband braucht, um das Anhörungsrecht in den Ministerien zu haben und ihr Recht auf Beteiligung an den politischen Prozessen wahrnehmen zu können, also um politisch handlungsfähig zu sein.

VR: Eine Branche findet nicht statt, wenn sie nicht organisiert ist, ist es so? Aber was ist der Vorteil einer Neugründung? 

TRITZ: Man konnte auf diese Weise einen Strich unter die Vergangenheit ziehen und sich komplett neu aufstellen – mit neuem Personal, neuen Räumlichkeiten und neuen Botschaften. Wir haben einen tatsächlichen Neuanfang gemacht.

VR: Sie waren frühere Grünen-Politikerin. Kann das sein, dass der Neuanfang auch durch Ihre Person symbolisiert war?

TRITZ: Selbstverständlich! Wenn man einen Neuaufschlag macht und sich eine ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete holt, dann will man natürlich auch mit dieser Besetzung der Geschäftsführung etwas symbolisieren. 

VR: Ein Verband hat immer nur ein begrenztes Instrumentarium an Möglichkeiten. Wo liegen Ihre neuen Akzente, die diesen Neuanfang des Verbandes rechtfertigen?

TRITZ: Im Gegensatz zu vielen anderen Verbänden, die einen Juristen an ihrer Spitze haben, hat unsere Industrie mit der Verpflichtung einer Politikerin als Geschäftsführerin einen politischen Schwerpunkt in Richtung gesellschaftlichen Diskurs gesetzt: Wo steht dieses Produkt, wo steht die Industrie, was macht die Gesellschaft mit dem Produkt, was macht die Gesellschaft mit der Industrie – und nicht zuletzt: Was macht die Politik mit der Gesellschaft? Aus der Politik kommend weiß ich aus der Praxis, wie Prozesse funktionieren, worauf ich Rücksicht nehmen muss, wie Politik tickt.

VR: Man wird erfahrenen Verbands-Geschäftsführern, die ihre Karriere bei Verbänden gemacht haben, sicher nicht unterstellen, dass die von Politik nichts verstünden.

TRITZ: Selbstverständlich nicht! Ich denke, es gibt da unterschiedliche Herangehensweisen, die alle ihre Berechtigung und Wirkung haben. Meine Erfahrung als MdB führt u. a. dazu, dass wir nicht unbedingt alle sonst üblichen Lobby-Instrumente in unserem Werkzeugkasten führen. Parlamentarische Abende sind z. B. ein beliebtes Veranstaltungsformat in der Verbandslandschaft. Jeder Abgeordnete erhält im Schnitt pro Woche 10 bis 20 Einladungen zu parlamentarischen Abenden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass diese bei den Politikern nicht gerade oben auf der Beliebtheitsskala stehen, und verzichte daher auf diese Veranstaltungsform. Ausnahmen sind meines Erachtens die hochrangig besetzten parlamentarischen Abende der Spitzenverbände, wie BDI und BDA.

VR: Welche Instrumente finden Sie gut und effizient?

TRITZ: Das ehrliche Gespräch. Das Angebot: Hast du Zeit, interessiert dich mein Thema, können wir darüber reden? Ich halte es für wichtig, dass man parlamentarische Abläufe kennt, akzeptiert und respektiert. Es ist notwendig, ein Gespür dafür zu haben, wann man die eigenen Themen setzen kann und wann andere Dinge im politischen Tagesgeschäft eine viel höhere Priorität haben, sodass man mit seinen Anliegen den Gesprächspartner nicht erreichen kann. Umgekehrt ist es aber unerlässlich zu wissen, zu welchem Zeitpunkt man sich auf welcher Ebene positionieren muss.

VR: Ist diese Zurückhaltung Ausdruck dafür, dass die Zigarettenindustrie ein Stück ihrer Konfliktfähigkeit verloren hat?

TRITZ: Es ist vor allem ein Zeichen des Respektes für mein Gegenüber. Natürlich sind die Zeiten für unsere Industrie schwerer geworden. Ich gehöre der Generation an, für die es normal war, dass überall geraucht wurde und so ziemlich jeder rauchte. Das ist heute nicht mehr der Fall. Die immer stärker stattfindende Regulierung unserer Produkte führt dazu, dass der Raucher zunehmend aus der Öffentlichkeit verschwindet. Das heißt jedoch nicht, dass es ihn nicht gibt.

In Deutschland gibt es nach wie vor ca. 20 Millionen erwachsene Raucher. Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn man diese Menschen außen vor lassen will? Das zu thematisieren gehört auch zur Aufgabe des Verbandes. Wir wollen ein respektvolles Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern fördern und glauben, dass mit gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz viel erreicht werden kann.

VR: Ist das Ziel der Industrie, mit der Politik zu vereinbaren, wie man dauerhaft mit der Zigarette umgeht?

TRITZ: Die WHO will die Welt rauchfrei machen. Die Brüsseler Tabakproduktdirektive mit ihren geplanten Maßnahmen ist nichts anderes als das Bemühen, die unverbindlichen Empfehlungen der WHO in einen verbindlichen Rahmen zu pressen. Wären unsere Kontrahenten ehrlich, würden sie sagen: Ja, wir wollen den Tabak als legales Produkt abschaffen. Sie wissen aber ganz genau, dass damit keineswegs der Tabak verschwindet. Es gäbe eine starke Verschiebung zu dem ohnehin schon großen illegalen Markt für Tabakprodukte – verbunden mit erheblich höheren Risiken für den Verbraucher.

Wir sind ein legaler Wirtschaftszweig und verdienen unser Geld mit der Produktion und dem Verkauf eines legalen Produktes. Und wir wollen für dieses Produkt, das dem Staat eine Menge Geld generiert – nach der Mineralölsteuer sind wir der zweitgrößte Erbringer einer Verbrauchssteuer – faire Rahmenbedingen. Es kann doch nicht angehen, dass der Finanzminister sich über 14 Milliarden Tabaksteuereinnahmen freut und von anderer Seite versucht wird, unser Produkt klein zu regulieren. Die Auswirkungen auf den illegalen Tabakmarkt bleiben hierbei übrigens in der Regel unbeachtet.

Wir wollen eine allgemeingültige Rechtslage haben, wie sie für andere Bereiche der Konsumgüterindustrie auch gilt. Wir wollen unsere markenindividuell gestalteten Packungen behalten und unsere Produkte am Verkaufsort präsentieren dürfen. Dies sind Dinge, die von der Europäischen Kommission im Entwurf der Tabakproduktrichtlinien infrage gestellt werden. 

VR: Interessenvertretung gelingt umso besser, wenn man sein eigenes Interesse plausibel in einen größeren Zusammenhang bettet und so die benachbarten Interessen auf seiner Seite hat. Früher ist das mit dem Stichwort „Dominotheorie“ ja ganz gut gelungen. Man hat gesagt, wenn die Zigarette fällt, dann fallen Alkohol, Genussmittel usw. Nun könnten diese Industrien sagen, der Dominoeffekt ist nicht eingetreten, und deswegen sind wir mal vorsichtig, uns auf die Seite der Zigarettenindustrie zu schlagen, sonst kommen wir noch ins Blickfenster der Brüsseler Kommission. Wie ist die Situation?

TRITZ: So war das tatsächlich in der Vergangenheit. Bereiche der Konsumgüterindustrie haben sich ungern auf die Seite der Zigarette geschlagen, weil sie die Sorge hatten, in diesen Regulierungswahn der Brüsseler einbezogen zu werden. Mittlerweile ist es aber so, dass die Kommission ähnliche Programme wie bei uns die Tabakproduktdirektive für andere Bereiche entwickelt. Z. B. für nicht alkoholische Getränke, Alkohol sowieso, Süßwaren und für andere Lebensmittel, die sich mit ihren Marketing-Aktivitäten an Kinder und Jugendliche richten.

Diese Programme sind unterschiedlich weit fortgeschritten, teilweise auch schon konsultationsfähig oder im Konsultationsprozess. Die vornehme Zurückhaltung anderer Branchen gegenüber der Tabakindustrie hat sich nicht als förderlich erwiesen, der Dominoeffekt greift. Wir sind die Ersten, die es richtig abgekriegt haben und bei denen man versucht, richtig hart durchzuregulieren, aber die anderen trifft es inzwischen auch. Ob es die Lebensmittelampel ist, Piktogramme auf Flaschen oder irgendwelche Kampagnen zur Einschränkung von Fernsehwerbung. Zigaretten, Tabak, das ist nur der Anfang. Deswegen diskutieren wir mittlerweile mit den meisten Branchen der Konsumgüterindustrie übergeordnete Themen: Wie weit darf der Staat gehen? Wie weit darf eine EU-Kommission gehen bei der Regulierung von Produkten? Was kann überhaupt von Europa aus bestimmt werden? Was findet im Namen des Verbraucherschutzes statt, inwieweit regelt oder stranguliert man Märkte, inwieweit greift man in nationale Wirtschaftsräume ein? Das sind Diskussionen, die wir mittlerweile nicht mehr alleine führen, sondern mit anderen Branchenverbänden,  dem BDI, business europe und allen, die davon betroffen sind. 

VR: Ist es auch in diesem Fall wie so oft so, dass in Deutschland die Verabredungen bis in die staatliche Administration hinein noch relativ gut klappen, auf der europäischen Ebene aber schwieriger sind? 

TRITZ: Ja. Die EU-Kommission zeichnet sich dadurch aus, dass sie beim Verbraucherschutz immer vornedran ist. Mein Verdacht ist: Je komplizierter Themen sind, die die Politik beschäftigen, desto eher ist man geneigt, sich auf diese populistischen Bereiche zu konzentrieren. Da kann man wenigstens zeigen, dass man durchsetzungsstark, ist und vielleicht auch Erfolge vorweisen, wie man sie bei den wirklich zentralen Themen nicht so schnell präsentieren kann.

VR: Haben Sie in dieser Situation überhaupt Spielräume, um mit der Politik nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung zu werden und somit zu vermeiden, als sogenannter Hardliner isoliert zu werden?

TRITZ: Wenn man einer Industrie die Marken, die Brands nimmt und damit ihr Eigentum abschaffen will, muss man sich mit allen einem zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Wir führen Gespräche im nationalen Raum, auf der europäischen Ebene und mit starken Verbündeten in der Wirtschaft, z. B. mit anderen Industrieverbänden. Wir versuchen, im Vorfeld die schlimmsten Szenarien zu verhindern. Aber wir behalten uns auch vor, den Rechtsweg zu beschreiten.

VR: Ist es in diesem Zusammenhang für Sie ein Problem, dass der Marktführer Philip Morris nicht Mitglied ist?

TRITZ: Nein. Wir arbeiten an dieser Stelle ganz eng mit dem Marktführer zusammen. Die haben natürlich auch gesehen, dass sie in vielen Dingen nach wie vor den Schulterschluss mit den anderen brauchen, gerade beim Thema Tabakproduktdirektive. Wir haben z. B. gemeinsam den Konsultationsprozess begleitet und haben zum Großteil die gleichen Botschaften beim politischen Lobbying.

VR: Wenn Sie die Erfahrung von 3 1/2 Jahren nehmen und sehen nochmals auf den Ausgangspunkt: Ihren Einstieg, Ihre Überlegungen zur Neuaufstellung des Verbandes und gleichen das jetzt ab mit der politischen Situation, der Interessenvertretungssituation, so wie Sie das jetzt geschildert haben: Haben Sie sich das so schwierig vorgestellt?

TRITZ: Ja, doch. Ich habe mir das sehr schwierig vorgestellt, habe aber auch an manchen Stellen mehr Mut von der Politik erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass es so häufig eine Diskrepanz zwischen dem gibt, wie man mit Verbänden redet, und dem, wie man sich nach außen darstellt.

VR: Ist das die Schwierigkeit, die man hat, wenn man für ein Produkt tätig ist, für das die öffentliche Identifikation für einen Politiker ja fast ins politisch Inkorrekte geht?

TRITZ: Die Politiker machen ihre Zigarette aus, sobald eine Kamera in die Nähe kommt. 

VR: Wie wichtig ist es, Bürger und Konsumenten zu erreichen? Oder bringt Bürgermeinung, selbst wenn Sie sie hätten, nichts Entscheidendes im politischen Raum?

TRITZ: Der rauchende Bürger ist sehr defensiv geworden. Er möchte sich auch ungern mit der Zigarette zeigen. Er möchte sich auch nicht unbedingt outen, indem er zu einer Bewegung gehört, die öffentlich sagt: „Wir sind Raucher und wir pochen auf unser Recht.“ Solche Leute gibt es auch, aber das sind kleinere Randgruppen. In der Gesellschaft ist das Thema Rauchen zu einem unglaublich polarisierenden Thema geworden. Das haben wir in der Diskussion um die Verschärfung der Nichtraucherschutz-Gesetze, z. B. in Bayern, erlebt.

VR: … wo selbst eine Partei, die denkt, dass sie immer ihr Ohr am Puls des Volkes hat, überrascht wurde …

TRITZ: Genau. Das ist ein total emotionales Thema geworden, bei dem jeder mitreden will und kann. In den Köpfen der Menschen hat sich vieles verfestigt, und darauf reagiert Politik. Z. B. hat sich das Thema Passivrauchen so verfestigt in der Gesellschaft, dass man den Eindruck bekommen könnte, man fiele tot um, wenn man nur an einem Raucher auf der Straße vorbeiginge. Es ist erstaunlich, was da in der Gesellschaft passiert. Ich glaube, man kann dieses Thema auch nicht komplett zurückdrehen. Man muss eher grundsätzlich die Frage stellen, welche Entscheidungen man sich vom Staat abnehmen lässt und was man noch selbst entscheiden will. Also die Frage der Mündigkeit des Verbrauchers muss sich neu stellen. Aber das ist eine gesellschaftliche Debatte, die lange dauert. Es kann dabei nicht nur ums Rauchen gehen, sondern muss auch andere alltägliche Dinge unseres Lebens umfassen – und das kann nicht von uns angestoßen werden.

VR: Ist es auch das, was Sie seinerzeit bewogen hat, diesen Job hier zu machen? Dass es nicht nur die Lust ist, etwas professionell und gut zu machen, sondern dass Sie Fragen wie Freiheit und Mündigkeit touchieren?

TRITZ: Ja, eindeutig! Ich arbeite mit dem Anspruch, die verhärteten Fronten wieder ein bisschen aufzuweichen. Wir müssen uns doch fragen: Was darf man als Erwachsener; was darf man als mündiger Konsument, der viel über das Produkt weiß; was gesteht mir der Staat noch zu, wo fängt er an, mich zu reglementieren, und zwar nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum? An dieser Diskussion möchte ich gerne teilnehmen und sie auch voranbringen. Aber wir sehen tatsächlich –
was ich bei meinem Einstieg so nicht wusste –, dass gerade beim Thema Rauchen die Verbraucher komplett in der Defensive sind und sich auch ungern aus dieser Defensive locken lassen.

VR: Nun hat man in der Interessenvertretung  der Zigarettenlobby seinerzeit auch sehr lange sehr hoch gereizt und mit allen Mitteln und Wegen versucht, die Stellung zu halten. Und ist dann anschließend, man sehe sich die Kommunikation der Zigarettenunternehmen an, selber sehr defensiv geworden, sicher auch unter dem Eindruck von Prozessandrohungen vor allem in den USA, sodass hier der Verbraucher auch nicht gerade Sprachunterstützung  gefunden hat, oder?

TRITZ: Früher war die Zigarettenindustrie mit ihren Produkten überall sehr präsent. Mit der zunehmend gesellschaftlichen Debatte um die kritischen Aspekte des Rauchens ist man plötzlich an einen Punkt gekommen, an dem  man zurückhaltender wurde und bereit war für Zugeständnisse. Die Industrie wurde sich viel stärker ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, vor allem beim Jugendschutz, bewusst.

VR: War das ein Grad von Opportunität, der zu weit ging, um glaubwürdig zu sein?

TRITZ:  Ist Verantwortung ein Zeichen von Opportunität? Die Industrie hat erkannt, dass bestimmte Instrumente nicht zielführend sind. Deswegen beauftragen wir auch keine Gutachten mehr zu gesundheitlichen Auswirkungen. Nicht weil wir die Ergebnisse fürchten, sondern weil Gutachten, die von uns beauftragt werden, per se unter Generalverdacht stehen. Egal wie unabhängig die Gutachter sind.

Dennoch gilt, dass man für seine eigenen Belange eintreten muss. Nur dann findet man Verbündete. Unsere Industrie braucht wieder mehr Selbstbewusstsein. Ich muss nicht auf Maximalpositionen bestehen, aber ich muss sehen: Was will die Politik und was will ich? Eine Maximalposition der Politik in Brüssel ist, die Marken abzuschaffen. Da muss ich eindeutig sagen: „Stopp! Geht nicht!“ Wenn sie ehrlich wäre, müsste die Politik zugeben: „Wir wollen das Produkt verbieten.“ Alles andere ist Drumherumgerede. Ein Verbot auf kaltem Wege. Eine Prohibition. 

VR: Wie stehen die Chancen, auch innerhalb der eigenen grünen Partei Gehör zu finden? Eigentlich könnte man doch sagen, Individualität wird von dieser Partei stark vertreten und hochgehalten. Auf der anderen Seite findet man aber immer wieder, wenn es darauf ankommt, dass sich die Regelungsanhänger durchsetzen.

TRITZ: Dieses Phänomen gibt es leider nicht nur bei den Grünen, sondern das zieht sich durch alle Parteien. Bei dem Thema TPD – Tabakproduktdirektive – habe ich die Hoffnung, dass sich die Ordnungspolitiker Gehör verschaffen. Es gibt unter allen Politikern Stimmen, die sagen, so kann man es nicht machen, da muss man noch mal drüber reden. Ich hoffe, dass wir eine breite Allianz hinbekommen bzw. dass die Kommission erkennen wird, dass sie mit Augenmaß regulieren muss. Grundsätzlich werden wir um eine Überarbeitung der TPD nicht herumkommen – das ist uns klar.

VR: Nochmals zu Ihnen persönlich. Ist es nicht so, dass immer wieder beklagt wird, dass zu wenige Führungsleute von der Politik in die Wirtschaft oder umgekehrt wechseln? Wenn es aber jemand macht, wird das auch kritisiert, zumal wenn er oder sie von den Grünen kommt. Ist das nicht seinerseits kritikwürdig?

TRITZ: Ja klar! Politisch korrekt wäre es aus Sicht vieler wohl nur, wenn Grüne, die aus der Politik ausscheiden, Biobäcker würden oder zum Verbraucherschutz gehen würden.

Mir wurde auch schon bei meinem Wechsel von der Basisbewegung in die professionelle Politik der Vorwurf gemacht, dieses nur aus Karrieregründen zu tun. Die meisten Abgeordneten haben aber nach ihrer Zeit im Bundestag nicht ausgesorgt, müssen weiter ihren Lebensunterhalt verdienen. Eine berufliche Neuorientierung – auch in Richtung Verbandsarbeit – halte ich daher für selbstverständlich und völlig normal.

VR: Als Sie den DZV übernommen haben, wollten Sie vieles anders machen. Wie beurteilen Sie heute die Qualität der deutschen Verbände generell?

TRITZ: Die meisten Verbände in Deutschland sind gut aufgestellt und arbeiten hochprofessionell. Ihre Expertise wird seitens Politik, insbesondere von der Fachebene der Ministerien, abgefragt und gerne in Anspruch genommen. Auch in zahlreichen europäischen Branchendachverbänden wird diese Kompetenz anerkannt und gerne genutzt, sodass die deutschen Interessen in der Regel auch über die europäischen Dachverbände recht gut vertreten werden. 

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Autor/in

Henning von Vieregge

ist u. a. Buch- und Hörbuchautor, Blogger (www.vonvieregge.de), Lehrbeauftragter an der Universität Mainz sowie Verbändecoach. Von Vieregge war viele Jahre Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen (GWA).

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