Verbändereport AUSGABE 3 / 2012

Projektbericht: Einführung eines integrierten Qualitäts- und Wissensmanagementsystems im Verband

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HessenChemie ist ein Zusammenschluss von 300 Unternehmen der chemischen und kunststoffverarbeitenden Industrie Hessens sowie einer Reihe von industrienahen Serviceunternehmen. Damit die Mitarbeiter/-innen die Mitgliedsunternehmen mit raschen Reaktions- und kurzen Einarbeitungszeiten bedienen können, greift HessenChemie unter anderem auf ein EDV-gestütztes Customer-Relationship-Management-System (CRMS) zurück.

Mit dem CRMS werden sämtliche unmittelbaren mitgliederbezogenen Aktivitäten geführt. Dazu zählen beispielsweise Mitgliedermanagement, Rechtsberatung und Prozessvertretung oder das Seminarwesen. Dokumente aus diesen Bereichen werden im CRMS direkt den einzelnen Mitgliedern zugeordnet und dort abgelegt. Kollektive Dienstleistungen wie zum Beispiel Tarifpolitik oder Interessenvertretung erfordern eine CRMS-unabhängige, zentrale, aber ebenso geordnete wie auch EDV-gestützte Ablage. Bestimmte Dokumente existieren generell sowohl in elektronischer als auch in Papierform.

Das infolge der dynamischen Entwicklung der HessenChemie organische Wachstum sowie die erhöhte Aufgabenfülle und Komplexität der Arbeit ließen im Laufe der Zeit Unzufriedenheit bei den Verbandsmitarbeiter/-innen mit den Arbeitsabläufen und vor allem dem existierenden Ablagesystem aufkommen. Es gab beispielsweise keine Vorgaben, wo und wie Dokumente abzulegen sind, sodass letztlich jeder Mitarbeiter neben dem CRMS sein eigenes System entwickelte. Dies führte besonders im Falle von Abwesenheitsvertretungen stellenweise zu unverhältnismäßig hohem Suchaufwand. Aus der Befürchtung heraus, die einmal gefundenen Dokumente nicht mehr wiederzufinden, wurden sie nochmals im eigenen Ablagesystem gespeichert. Dies wiederum rief ein gewaltiges Datenaufkommen hervor, welches zu zusätzlichen EDV-Investitionen zwang.

Hinzu kommen die Besonderheiten der E-Mail-Ablage. Elektronischer Schriftverkehr führt regelmäßig zu zusätzlichen separaten, für Außenstehende nicht ohne Weiteres zugänglichen Verzeichnisstrukturen sowie zu einer unterschiedlichen Handhabung dort  entstehender Dokumente.

Kurzum: Bereits bei den Routineprozessen, spätestens jedoch bei zentralen und relevanten Vorhaben, wie z. B. dem Betreiben eines funktionalen CRMS, stieß die beschriebene Verfahrensweise an ihre Grenzen. Wissenssicherung und -transfer konnten mit diesem System nicht länger ausreichend gewährleistet werden.

Projekt und Projektziel

HessenChemie orientiert sich am Qualitätsbegriff des Dienstleistungsmarketings, nach dem eine Organisation von hoher Qualität ist, wenn sie die Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Mitglieder bzw. Träger, Klienten und Mitarbeiter zu deren Zufriedenheit effizient und effektiv erfüllt. Die Verbandsstrategie bringt dementsprechend ein ganzheitliches Qualitätsverständnis zum Ausdruck, das den Verband in seiner Gesamtheit wie auch in all seinen Teilbereichen betrifft. Sie beinhaltet eine Handlungsaufforderung zu umfassender, zielgerichteter und konsequenter Ausrichtung der ganzen Organisation auf Qualität, Qualitätssicherung und -entwicklung.

HessenChemie ist eine im Wissensbereich interaktiv tätige Dienstleistungsorganisation. Als solche ist sie bei der Frage der Qualität der Leistungen in besonderer Weise vom Verhalten und Wissen der eigenen Mitarbeiter abhängig. Das Verhalten der Mitarbeiter wird unter anderem von den organisatorischen Rahmenbedingungen, d. h. der Infrastruktur sowie Aufbau- und Ablauforganisation, beeinflusst. Vor diesem Gesamthintergrund hat sich die Hauptgeschäftsführung im Jahr 2008 dafür entschieden, die interne Ablauforganisation sowie die EDV-gestützte Prozess- und Ablageorganisation vollständig zu überprüfen und zu optimieren. Aus der Zielanforderung wurde ein Projekt entwickelt mit dem positiv klingenden und identitätsstiftenden Namen „OptiVo“ – Optimierung der internen Verbandsorganisation.

Die an OptiVo gestellten Anforderungen lauteten auszugsweise:

  • Büroorganisatorische Abläufe haben zu verbesserten bzw. minimalen Reaktionszeiten gegenüber den Mitgliedsunternehmen zu führen.
  • Es ist ein geeignetes Dokumentations-, Kommunikations- und Wissensmanagementsystem zu implementieren, welches den Wissenstransfer und  damit u. a. das Einarbeiten neuer Mitarbeiter unterstützen soll.
  • Bereichsübergreifendes Arbeiten ist durch eine geeignete Organisation zu unterstützen.
  • Die bereits vorhandene IT-Infrastruktur ist aus ökonomischen Gründen zu nutzen, sodass das CRMS im gesamten Verband optimal zum Einsatz kommt.
  • Insbesondere ältere bzw. lange Zeit bei HessenChemie beschäftigte Mitarbeiter sind im Prozess mitzunehmen.
  • Das Projekt ist so zu gestalten, dass der Weg zu einer später evtl. gewünschten Zertifizierung bereits beschritten wird.
  • Die Organisationsexpertise der Mitarbeiter soll gesteigert werden, damit nach Beendigung des Projekts eine selbstständige Überwachung und Optimierung der Prozesse möglich ist.
  • Es ist sicherzustellen, dass die Mitarbeiter langfristig und durchgängig die Projektergebnisse umsetzen und leben.
  • Das Projekt ist im Kern im Zeitraum 01/2009 – 12/2010 abzuschließen und nach einem halben Jahr zu evaluieren. Dabei ist die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter/-innen im Tagesgeschäft stets aufrechtzuerhalten.

Projektarchitektur

Diese umfangreichen Anforderungen  sowie die heterogene Mitarbeiter/-innenstruktur bzgl. Ausbildung und des beruflichen Werdegangs, Alter, Verbandszugehörigkeit, Funktion, der EDV-Kenntnisse sowie jeweiliger Arbeitsweise erforderten externe Projektbegleitung. Die Projektleitung übernahm die persönliche Referentin des Hauptgeschäftsführers und Leiterin Zentrale Dienste. Auf diesem Wege sollten die notwendigen Sach-, Macht- und Sozialpromotoren für das Projekt zur Verfügung stehen. Um eine möglichst hohe Akzeptanz zu erzeugen, wurde ein mitarbeiterzentriertes Vorgehen festgelegt. In jeder Phase des Projekts waren die Betroffenen auch Beteiligte und brachten so Erfahrung und Know-how aktiv ein. Hierfür gründete sich eine Steuergruppe, bestehend aus Projektleitung, externem Berater und sieben Verbandsmitarbeiter/-innen. Bedarfsweise nahmen die externe EDV-Betreuung oder andere Mitarbeiter/-innen als Fachkundige an den Terminen teil. Darüber hinaus verlief die Arbeit in Workshops unterschiedlicher personeller Zusammensetzung.

Projektdurchführung

OptiVo wurde in drei Phasen durchgeführt. In Phase 1 ging es im Wesentlichen darum, die Problemstellung ganzheitlich zu erfassen, den Handlungs- bzw. Veränderungsdruck zu identifizieren und das Akzeptanzverhalten für OptiVo zu ergründen. Zu diesem Zweck führte der externe Berater u. a. Einzelinterviews mit allen Mitarbeiter/-innen.

Phase 2 diente der Aufnahme des IST-Zustands von Abläufen und Dokumentenbeständen und der daraus abzuleitenden Soll-Zustandsbeschreibung. Kern bildeten dabei das Definieren und Optimieren der Arbeitsprozesse sowie das Entwerfen und Abstimmen eines Aktenplans mit Regelwerken zu Dateibezeichnung, Ablage, Archivierung, Zugriffsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten. Phase 3 umfasste die geforderte Evaluation von OptiVo.

Prozessorientierte Ablage als Kern von OptiVo

Bei der Suche nach einer geeigneten Ablagesystematik wurde zunächst ein Aktenplan geprüft, der in früheren Zeiten im Einsatz und den langjährigen Mitarbeiter/-innen noch geläufig war. Die Ablagesystematik entsprach der Diktion von Standardaktenplänen, wie sie heute noch häufig in Verwaltungen vorkommen. Die gewachsene Komplexität und Dynamik sowie die zunehmende Digitalisierung im Verband konnten jedoch durch diesen gegenstands- bzw. objekt-orientierten Aktenplan nicht mehr bedient werden.

Den Mitarbeiter/-innen machte die IST-Bestandsaufnahme und -Analyse schnell bewusst, in welch hohem Maße sie prozessorientiert arbeiten und folgerichtig einer Ablage entlang dieser Prozesse bedürfen. Deshalb wurden in einem nächsten Schritt sämtliche Prozesse identifiziert, definiert, auf ihre Optimierungspotenziale hin untersucht, mit den bereits existierenden Funktionsbeschreibungen und Leistungsstandards abgestimmt und schließlich grafisch dargestellt.

Für den Aufbau der Ablagesystematik war es erforderlich, die jeweiligen Prozesse aus Sicht des Verbandes den Kategorien strategische, Kern- und Unterstützungsprozesse zuzuordnen. Strategische Prozesse umfassen alle (internen) strategischen Management- und Führungsaktivitäten, wie z. B. Leitbildentwicklung oder das Controlling. Kernprozesse sind die eigentlich wertschöpfenden Prozesse und richten sich unmittelbar an die Mitgliedsunternehmen und die Öffentlichkeit. Unterstützende Prozesse schließen sämtliche interne Aktivitäten ein, die für das Funktionieren der Organisation maßgeblich sind. Dazu zählen IT, Poststelle, Personalmanagement usw.

Die Prozesse bilden aus organisatorischer Sicht die Führungsmerkmale des Ablagesystems. Innerhalb der Prozesse wiederum entstehen Vorgangs-, Prozess- und Wissensdokumente. Diese unterscheiden sich wie folgt: Vorgangsdokumente ergeben sich mit der Bearbeitung eines Vorgangs und sind unmittelbar auf diesen bezogen, wie z. B. postalischer und elektronischer Schriftverkehr. Prozessdokumente sind Dokumente mit Vorlagencharakter wie etwa Formatvorlagen, Standardbriefe oder auch Checklisten. Wissensdokumente schließlich zeichnen sich dadurch aus, dass sie bereichsübergreifend genutzt werden und einen entsprechenden Mehrwert für den Anwender bieten. Darunter fallen u. a. Best-Practice-Beispiele, Handbücher, Bezugslisten etc.

Durch die Einordnung in o. g. Kategorien erhalten die Dokumente ein zweites Ordnungsmerkmal. Im Zusammenspiel mit der dem Deming-Regelkreis oder PDCA-Zyklus (plan, do, check, act) entlehnten Basisstruktur ließ sich nun ein erster Aktenplanentwurf genieren, im Folgenden verfeinern, abstimmen und in das bestehende  EDV-System implementieren. Alle Mitarbeiter wurden in das neue System eingewiesen und entsprechend geschult.

Ergebnisse von OptiVo

Nach Beendigung der beiden ersten Projektphasen konnten folgende Ergebnisse festgehalten werden:

ursprüngliche Datenmenge auf dem Server um rund 50 Prozent reduziert

Verbandsarchiv neu organisiert

abteilungsbezogene und -übergreifende Abläufe in Workflows optimiert und festgeschrieben und dadurch Ablaufklarheit, Handlungssicherheit, Wissenssicherung, Qualitätssicherung und -entwicklung, Schnittstellenklarheit, Ressourcenklarheit und -optimierung erreicht

  • einheitlicher Aktenplan entlang der Abläufe implementiert (prozessorientiertes Ablagesystem)
  • verbindliche Regeln für das Benennen, Archivieren und Löschen von Dokumenten vereinbart
  • gemeinsam erarbeitete (Zugriffs-)Rechtestruktur etabliert
  • Organisationshandbuch erstellt
  • Wissensbestände zentralisiert
  • interne Organisationsexpertise der Mitarbeiter/-innen gesteigert
  • Qualitätszirkel für Prozesscontrolling und -evaluation sowie die Weiterentwicklung der internen Verbandsorganisation insgesamt (kontinuierlicher Verbesserungsprozess – KVP) unter der Projektleitung von OptiVo installiert
  • Dokumentenmanagementbeauftragte als Ansprechpartner in den Abteilungen bestimmt
  • Die zeitliche Vorgabe sowie das kalkulierte Budget wurden exakt eingehalten.

Evaluation und Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)

Rund ein halbes Jahr nach Abschluss des Kernprojekts erfolgte eine erste Bewertung über den Umsetzungsgrad sowie die getroffenen organisatorischen Maßnahmen zur Überwachung und Fortentwicklung von OptiVo. Es zeigte sich, dass das System weitgehend umgesetzt wurde. Augenfällig waren ansonsten nachstehende Beobachtungen:

Als problematisch erwies sich der geplante sukzessive Übergang vom alten ins neue Ablagesystem. Einige Mitarbeiter/-innen arbeiteten unter Zeitdruck immer wieder in ihrem gewohnten alten System, anstatt vor allem neu Begonnenes nur im neuen System zu bearbeiten.

Die Vereinbarungen zur Dateinamenvergabe und Tiefenstruktur der Ablage wurden nicht durchgehend eingehalten. Dadurch verlängerten sich die Dateinamen teilweise über die von der Datensicherungssoftware verarbeitbare Länge von 256 Zeichen hinaus (Dateiname besteht aus Verzeichnispfad und eigentlicher Dateibezeichnung). Ebenso wurde dadurch die angestrebte Reduzierung übermäßigen Suchaufwands erschwert.

Des Weiteren bereitete das konsequente Leeren der Outlook-Postfächer zuweilen Probleme mit der Folge, dass die Vollständigkeit der Unterlagen in der neuen allgemeinen Ablagesystematik nicht durchgängig gegeben war.

Als Reaktion auf diese Beobachtungen  erfolgte eine bereichsweise, intensive Nachschulung aller Mitarbeiter/-innen. Das alte Ablagesystem wurde zeitnah mit entsprechender Fristsetzung vollständig gesperrt. Die Hauptgeschäftsführung legte eine in den Outlook-Postfächern maximal erlaubte Datenmenge für alle verbindlich fest. Ihre Einhaltung wird seitdem periodisch überprüft. Mit diesen Maßnahmen konnte wirksam entgegengesteuert werden.

Fazit

Das Projekt hat für alle Beteiligten einen hohen Arbeitsaufwand mit sich gebracht, der sich aber im Nachhinein als sehr lohnenswert erweist. Die Mitarbeiter/-innen von HessenChemie befürworten die für alle einheitlich geltende Aktenplansystematik. Sie stellt heute die Grundlage des innerverbandlichen Wissensmanagements dar. Alle relevanten Dokumente sind dort zu finden, und zwar an der Stelle, an der sie innerhalb der Prozessabläufe entstehen. Dadurch hat sich ein bewussteres Arbeiten entwickelt. Der Aktenplan bildet die gesamte Tätigkeit des Verbandes auf einen Blick ab und fördert so das Verständnis für die Gesamtorganisation. Dies kommt nicht zuletzt neuen Mitarbeiter/-innen bei der Einarbeitung nachweislich zugute. Die Mitarbeiter/-innen konnten durch das Projekt ihre Organisationsexpertise erheblich steigern. Sie haben sich auf ganz andere Art und Weise als im normalen Tagesgeschäft mit ihrer Arbeit befasst, diese durchdacht und mit Unterstützung optimiert. Dies war entscheidend für das Ingangsetzen des KVP, der den Verband nachhaltig zu einer lernenden Organisation und damit überlebensfähig macht.

Mit OptiVo ist allen Beteiligten bewusst geworden, dass Prozessbeschreibungen und eine geordnete prozessorientierte Ablagesystematik entgegen ursprünglichen Befürchtungen keine Bürokratie mit sich bringen, sondern ganz deutliche Vorteile haben. Sie sorgen in erster Linie für das notwendige Maß an Standardisierung, Transparenz und Verbindlichkeit. Auf diesem Wege lassen sich u. a. erfolgreich Unsicherheiten beseitigen, Suchaufwendungen reduzieren, Abwesenheitsvertretungen erheblich vereinfachen und gesamt gesehen zeitliche Freiräume für neue Herausforderungen schaffen.

Das Projekt hat bestätigt, dass in Problemlösungsprozessen mit Anpassungs-, Veränderungs- oder Innovationscharakter bedeutende Erfolgsfaktoren zum einen die Schaffung von Problembewusstsein und Innovationsbereitschaft, zum anderen die Beteiligung der Betroffenen bereits ab der Phase der Willensbildung bzw. Lösungserarbeitung sind. Wer hier versucht, Ressourcen und Mühe zu sparen, riskiert erhebliche Folgeprobleme in Form von Konflikten und Widerstand in der Implementierungsphase oder danach. Veränderungen von Einstellungen oder Verhaltensweisen sind grundsätzlich nicht auf schnellem Wege zu erreichen. Die von Anfang an festgelegte mitarbeiterzentrierte Vorgehensweise hat sich auf jeden Fall als die richtige erwiesen und kann nur weiterempfohlen werden.

Ein weiterer Punkt sei hier abschließend betont. Von mindestens ebenso großer Bedeutung für den Erfolg von OptiVo sind vorbehaltloses Commitment und aktive Unterstützung aller Führungskräfte. Willensbildung, Führung, Organisation, Steuerung und Innovation als zentrale Managementaufgaben sind in Projekten dieser Art gleichermaßen gefragt. Die Projektleitung von OptiVo war auch aus diesem Grund im Bereich der Hauptgeschäftsführung angesiedelt. 

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