Verbändereport AUSGABE 2 / 2013

Spielräume identifizieren! Ressourcenmanagement im Verband

Ist das wirklich möglich? Ein Erfahrungsbericht

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Strategien entwickeln und umsetzen ist ein Erfolgsfaktor jedes Verbandes. Dies erfordert jedoch meist auch Ressourcenspielräume. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist dies jedoch nicht eine Selbstverständlichkeit. Wie können wir die nötigen Ressourcenspielräume identifizieren? Diese Frage stellen sich immer mehr Verbandsverantwortliche. Einnahmenseitige Verbesserungen durch Erhöhung von Mitgliedsbeiträgen oder kostenpflichtige Dienstleistungen finden vonseiten der Mitglieder häufig wenig Akzeptanz. Also welchen Weg kann ein Verband einschlagen, um doch noch Spielräume zu finden?

Aufgabenkritik heißt das Instrument, welches in diesen Fällen ein adäquates Mittel darstellt. In vielen Verbänden ist die Ressourcenverwendung aus der Tradition und Vergangenheit heraus schon „vorprogrammiert“. Das Spannungsfeld zwischen innovativen Entwicklungen und dem „Verteidigen“ von tradierten Leistungen und Ansprüchen ist eine der großen Herausforderungen sowohl für das Ehrenamt als auch für das Hauptamt.

Im vorliegenden Projekt (Beratung zur Bewirtschaftung von Almen) hat sich das Präsidium eines Verbandes im Bereich der Land- und Forstwirtschaft für die offensive Auseinandersetzung mit diesem Spannungsfeld ausgesprochen. Da diese NPO überwiegend im Bereich Beratung, Bildung und Interessenvertretung agiert, handelt es sich bei den zu identifizierenden Spielräumen vor allem um „Personalressourcen“.

Die Zielvorgabe aus dem Präsidium lautete: „10 Prozent der in der NPO eingesetzten Personalressourcen sollen als Ressourcenspielräume identifiziert werden.“ Die Entscheidungsträger auf Ebene Präsidium sowie der Geschäftsführung des Verbandes stellten sich zu Beginn folgende Kernfragen:

Wie können wir Ressourcenspielräume identifizieren, die sowohl vonseiten der ehrenamtlichen Gremien als auch vonseiten der Mitarbeiter akzeptiert und dann auch umgesetzt werden können?

Welche Rahmenbedingungen sind bei diesem Prozess zu beachten?

Es war naheliegend davon auszugehen, Spielräume dort zu orten, wo Ressourcen in Leistungen gebunden sind, welche vonseiten der Mitglieder nicht mehr als wichtig angesehen werden und/oder wo durch Prozessoptimierungen der gleiche Mitgliedernutzen bei einer ressourcenschonenderen Form der Leistungserstellung erzielt werden kann. Dies führte dazu, dass man sich entschlossen hat, das Instrument der Aufgabenkritik im Prozess systematisch anzuwenden.

Prozessdesign entwickeln

Um das Instrument systematisch anzuwenden, war ein dementsprechendes Prozessdesign notwendig. Die kritischen Faktoren wurden einerseits darin gesehen, einen Beteiligungsprozess zu gestalten, der nicht nur hauptamtliche Fachleute bei der Analyse berücksichtigt, sondern frühzeitig auch Vertreter aus dem Ehrenamt. Andererseits war es Absicht, beim Prozess der Entscheidungsfindung eine Form des Splittings zu wählen, sodass Entscheidungsträger „schrittweise“ zur endgültigen Entscheidung gelangen.

Unter Splittingverfahren versteht man „ein Verfahren zur Gestaltung von Willensbildungsprozessen“. Ein Problem wird in zwei Läufen bearbeitet. Zunächst werden die grundsätzlichen Aspekte des Problems herausgestellt und entsprechende Grundsätze, Grundkonzepte, Eckpfeiler diskutiert und verabschiedet. Erst dann wird die Fein- oder Detail-Ausarbeitung in die Hand genommen und zur Abschlussentscheidung geführt.

Folgende Vorgehensweise für den Prozess wurde festgelegt (siehe Abbildung 1).

Um dem Ansatz des Splittingverfahrens gerecht zu werden, wurde von der Projektorganisation her einerseits ei ne Arbeitsgruppe „Aufgabenkritik“ eingerichtet, andererseits ein Lenkungsausschuss bestellt.

Die Besetzung der Arbeitsgruppe hat sowohl Fachexperten, Verantwortliche von Regionalgruppen als auch Vertreter des Ehrenamtes berücksichtigt. Damit sollte frühzeitig sichergestellt werden, dass alle Blickwinkel in zeitlich ausreichend groß dimensionierten Sitzungen einfließen konnten. Die Entscheidungen wurden schrittweise im Sinne von Splitting im Rahmen eines breit besetzten Lenkungsausschusses mit Vertreter der ehrenamtlichen Leitungsorgane als auch Vertreter der Fach- und Regionalstruktur in zeitlich konzentrierter Form herbeigeführt.

In einem Vorbereitungsschritt wurden etwa 200 Produkte auf ihren angestrebten Nutzen, die angesprochene Zielgruppe, die tatsächliche Nachfrage sowie auf die Personalressourcenbindung konkretisiert und die Zahlen, Daten, Fakten dazu festgehalten. Die Datenquellen waren vorwiegend eine aktuelle Mitgliederbefragung, die Leistungsstatistik, die Leistungszeiterfassung sowie die Kosten- und Leistungsrechnung.

In der Phase der sogenannten „Zweckkritik“ ging es darum zu analysieren, wie hoch die Erwartungshaltung an die NPO ist, eine bestimmte Leistung durchzuführen. Die Einschätzung dieser Erwartungshaltung wurde jedoch aus der Sicht verschiedener Anspruchsgruppen analysiert. Einerseits ging es darum, die Sicht der Mitglieder zu berücksichtigen, andererseits wurden auch die Erwartungshaltungen externer strategischer Gruppen wie z. B. die Vertreter der Agrarpolitik, die öffentliche Hand usw. in die Analyse einbezogen. Neben den Erwartungshaltungen sind auch der Nutzen und die Wirkung einzuschätzen, der durch die Erbringung des jeweiligen Produkts zu erkennen ist. Ziel dieser Phase ist es, alle Produkte, die eine geringe Erwartungshaltung sowie einen geringen Nutzen haben, als potenzielle auszuscheidende Produkte zu identifizieren.

Die Bewertung wurde in Anlehnung an das Instrument der Nutzwertanalyse ausgestaltet. Die gemeinsamen Diskussionen in der Arbeitsgruppe wurden als zahlenmäßige Bewertungen in einen Bewertungsraster eingepflegt.

Das Ergebnis wurde in einer Erwartungs-/Nutzen-Matrix dargestellt. Darin wurde die jeweilige Kombination der Bewertung von Erwartung und Nutzen durch eine Zuordnung zu einem der insgesamt neun Felder dargestellt (siehe Abbildung 4).

Alle Produkte mit niedriger/mittlerer Erwartungshaltung und geringem/mittlerem Nutzen wurden dem Lenkungsausschuss zur Entscheidung über die Einstellung vorgelegt. Es konnten schon in dieser Phase 6 Prozent an Ressourcenspielraum aufgezeigt werden.

Alle verbleibenden Produkte, die sowohl von den Erwartungen als auch vom erzielten Nutzen höher bewertet wurden, sind in der Phase der Vollzugskritik nochmals analysiert worden. Die Fragestellungen in dieser Phase bezogen sich jedoch sehr deutlich auf den Produkterstellungsprozess und dessen wirtschaftliche Durchführung. Im Mittelpunkt war die Betrachtung, ob die Intensität der Leistungserbringung  (Leistungsumfang, Leistungsqualität) beibehalten werden soll oder ob es hier Anpassungspotenziale gibt.

Weiter wurde geprüft, ob das Produkt tatsächlich vom Verband zu erstellen ist, oder ob es wirtschaftlicher wäre, das Produkt an einen externen Partner für die Leistungserbringung zu vergeben. Durch die Bewertung dieser Möglichkeiten wurden wiederum potenzielle Ressourcenspielräume identifiziert und zahlenmäßig bewertet.

Die identifizierten Ressourcenspielräume wurde im Anschluss daran noch nach ihrer zeitlichen Realisierung (sofort realisierbar, innerhalb eines Jahres realisierbar, innerhalb von drei Jahren realisierbar) gegliedert. Dem Lenkungsausschuss konnte aus der Phase Vollzugskritik ein potenzieller Ressourcenspielraum im Ausmaß von 10 Prozent zur Entscheidung vorgelegt werden. Insgesamt hat die Arbeitsgruppe somit 16 Prozent Potenzial mithilfe des Instruments der Aufgabenkritik an Spielraum identifiziert.

Kritische Erfolgsfaktoren im Rahmen des Projekts:

Die Einschätzung des potenziellen Ressourcenspielraums ist sehr stark abhängig von den zur Verfügung stehenden Zahlen, Daten und Fakten. Eine einigermaßen realistische Festlegung von Ressourcendimensionen hängt also davon ab, ob Leistungsstatistiken und Controllingdaten grundsätzlich zur Verfügung stehen und qualitativ plausibel und unbestritten sind.

Als Nebeneffekt aus diesem Prozess der Aufgabenkritik konnten einige Ansätze zur Verbesserung der Steuerungsinformationen aus dem Controlling (Leistungsstatistik basierend auf der neuen Produktgliederung, Daten aus der Kosten- und Leistungsrechnung inkl. Mengendaten über Personalressourceneinsatz) festgehalten werden.

Neben den internen Zahlen, Daten und Fakten ist es sehr hilfreich, Erwartungen und Nutzenempfinden der Produkte durch Befragungen von Mitgliedern und Anspruchsgruppen zu erheben. Dies steigert wesentlich die Akzeptanz von Vorschlägen für Produktabbau.

Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt, wie schon oben angeführt, in der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe. In die Arbeitsgruppe sind anerkannte Vertreter aus dem Kreis der Fachexperten, aus Regionalverbänden und aus dem Bereich der Ehrenamtsträger zu entsenden. Es geht darum, Vorschläge, die aus diesem Kreis kommen, durch die verschiedenen Blickwinkel schon vorweg kritisch zu prüfen. Es muss die Möglichkeit bestehen, durch den gemeinsamen Dialog und die Diskussion in der Arbeitsgruppe auch „unangenehme“ Vorschläge zu unterbreiten. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe müssen jedoch ausreichend Geduld und Ausdauer mitbringen, da die einzelne Bewertung von über 200 Produkten eine eher aufwendige Angelegenheit ist.

Aufgabenkritik bedeutet, „heilige Kühe“ anzugreifen

Es geht also darum, unliebsame Entscheidungen über den Wegfall von Produkten zu treffen. Bei all diesen Produkten gibt es Gruppierungen, die für ein Aufrechterhalten der Leistungserbringung votieren und sich dafür einsetzen. Wenn diese Kultur überhandnimmt, bleiben von den vorgeschlagenen Potenzialen nur wenige Prozent Spielraum über. Ein Erfolgsfaktor, der diesem Verhalten Grenzen setzt, ist eine klare Zielvorgabe für den Prozess der Aufgabenkritik und ein gutes Argumentarium, warum dieser Prozess überhaupt angegangen werden sollte.

Das Überzeugen und das eindrückliche Vertreten einer Zielvorgabe ist die Aufgabe des Präsidenten/der Präsidentin gemeinsam mit dem jeweiligen Gremium. Im Rahmen dieses beschriebenen Projektes gab es keinen Zweifel, dass das Leitungsorgan bereit ist, Entscheidungen zugunsten der Zukunftschancen für die Mitglieder zu treffen.

Schlussfolgerung

Das Instrument der Aufgabenkritik ist gut geeignet, um machbare Veränderungsspielräume aufzeigen zu können. Kombiniert mit einem anschließenden Strategieprozess führt es zu Ergebnissen, die mutiger und realistischer sind als im Rahmen von Strategieprozessen, bei denen nach dem Festlegen von strategischen Zielen der Frust über die „Nichtrealisierbarkeit“ entsteht, da keine Handlungsspielräume vorhanden sind.

Es ist ein Prozess, der aufgrund seines Aufwands nicht in kurzfristigen Abständen durchgeführt werden wird. Jedoch sollte im Konzept der Planung vorgesehen sein, diesen Prozess spätestens alle sieben bis zehn Jahre durchzuführen. Bei systematischer Wiederholung kann der Aufwand stark reduziert werden. Zahlen, Daten und Fakten können in Vorbereitung schon zielgerichtet erhoben und ausgewertet werden. Die Diskussionen in der Arbeitsgruppe können zeitlich dadurch wesentlich verringert werden. Der Aufwand für diese Art von Prozess ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn die Entscheidungsträger gewillt sind, auch „unliebsame“ Entscheidungen zu treffen. 

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Autor/in

Andreas Kattnigg

ist Berater bei der B’VM-Beratergruppe für Verbandsmanagement.

https://www.bvmberatung.net

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