Verbändereport AUSGABE 7 / 2013

Zertifizierung ist eine wertvolle Prozessinventur

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Was bringt uns eine Zertifizierung? Mit dieser Kernfrage haben sich schon viele Unternehmen und mittlerweile auch eine zunehmende Anzahl von Verbänden und NGO beschäftigt. Aus Vertriebsperspektive wird die bestandene Zertifizierung, mit berechtigtem Stolz sehr offensiv präsentiert, gerne als Verkaufsinstrument genutzt. Auch der IVD konnte sich 2010 als erster zertifizierter Berufsverband der Immobilienwirtschaft präsentieren. Inwieweit sich aus einer erfolgreichen Zertifizierung akquisitorisches Potenzial für Neumitglieder ergibt, wird stark von der Branche, der dort schon vorhandenen Zertifizierungsmüdigkeit und dem verbandlichen Wettbewerb abhängen.

Eine Motivation beim IVD war, den Mitgliedern erkennbar und authentisch im Themenbereich Zertifizierung voranzuschreiten. Die Entwicklung und der „Rollout“ der sogenannten europäischen Maklernorm DIN EN 15733 zur Regelung der Dienstleistungen von Immobilienmaklern wurden vom Immobilienverband IVD maßgeblich unterstützt. Ein Verband, der sich an Normungen beteiligt, kann die Ergebnisse mitgestalten, diese mit der Arbeitswelt der Mitglieder in Einklang bringen und zur positiven Weiterentwicklung einer Branche oder eines Berufsstandes beitragen. Verbraucher erhalten mit der DIN EN 15733 einen wichtigen Leitfaden für die Zusammenarbeit mit Immobilienmaklern. Neben der Mitgliedschaft im IVD und den damit verbundenen Pflichten ist diese Zertifizierung somit praktizierter Verbraucherschutz und stützt eines der wichtigsten strategischen Ziele des Verbandes.

Verbände, in deren Branchen das Thema Zertifizierung schon länger seinen Höhepunkt erreicht hat, ein großer Teil der Mitgliederbasis schon zertifiziert sind oder wo, wie z. B. in weiten Teilen des Gesundheitswesens, die Erfüllung einer oder mehrerer Normen zur verkammerten Pflicht geworden ist, sollten sich die eingangs gestellte Frage etwas anders stellen.

Was bringt uns die Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems (QMS)?

Auf der Basis jüngerer Erfahrungen darf die Antwort den Erläuterungen vorausschickt werden. Sie lautet: Sehr viel, wenn die Ziele des QMS, d. h. die Qualitätsziele der Organisation, von allen Beteiligten im Auge behalten werden und das Ergebnis und die sich ergebenden Synergien stets einen höheren Benefit für die Organisation liefern als die finanziellen und personellen Investitionen in die Pflege des Systems.

Beim Immobilienverband IVD lief das Projekt Zertifizierung in drei Phasen ab. In der ersten Phase wurden im Managementteam, d. h. vom Geschäftsführer und Büroleiter, die Anforderungen der DIN ISO 9001 und des Kriterienkatalogs der DGVM ZERT analysiert und Beratung bei anderen Verbänden gesucht, die bereits erfolgreich einen Zertifizierungsprozess durchlaufen hatten. Die Norm lässt Ausgestaltungsspielräume. Best-Practice-Beispiele sind eine wertvolle Orientierung. Bedauerlicherweise war die Suche seinerzeit nicht erfolgreich, endete aber in der hoffnungsfrohen Erkenntnis, dass der IVD der erste zertifizierte immobilienwirtschaftliche Berufsverband sein würde. Einblick in die QMS größerer Unternehmen der Branche waren nur bedingt hilfreich. Die Vielschichtigkeit und Komplexität der Prozesse eines Bundesverbandes beim Zusammenspiel eines hauptamtlichen zehnköpfigen Teams mit den ehrenamtlichen Gremien, Regionalverbänden und einer wirtschaftenden Servicegesellschaft stellen hohe inhaltliche Ansprüche, die mit klassischen Unternehmensprozessen nur eine relativ kleine Schnittmenge offenbaren.

Prozessdefinition als Teamarbeit

In der zweiten Phase wurden alle denkbaren Prozesse, in der Verbandsgeschäftsstelle und darüber hinaus, definiert und zu Papier gebracht. In diese Phase wurde das gesamte hauptamtliche Team involviert. Die dokumentierten Prozesse wurden einzeln im Detail mit jedem Prozessverantwortlichen besprochen. Beim IVD wurde die Gesamtprojektverantwortung dem nach einer personellen Umstrukturierung neu eingestellten Büroleiter übertragen, der quasi wie ein Außenstehender die Prozesse hinterfragen konnte. Dieser wurde auch als erster Qualitätsmanagementbeauftragter des IVD berufen. Der Verband konnte durch die personelle Rochade komplett auf externe Beratung verzichten. Nebenbei bemerkt gibt es keine bessere Möglichkeit, eine Organisation kennenzulernen, als ihre Zertifizierung vorzubereiten.

Softwareunterstützung sinnvoll? Ja, unbedingt

Parallel fiel in dieser Phase die Entscheidung für die Darstellungsform und Softwareunterstützung für das QMS. Das Ziel war ein browserbasiertes System, das allen Mitarbeitern leichten Zugriff gewährte. Eine vernünftige Softwarelösung bietet den Vorteil, dass die meisten Produkte am Markt eine strukturelle Logik verfolgen und die Pflege des Systems damit stark vereinfacht wird. D. h. dass zum Beispiel bei der Änderung/Umbenennung eines Prozessschritts oder dem Wechsel eines Verantwortlichen nur an einer Stelle im System eine Änderung erfolgen muss. Eine Vielzahl von teilweise interdependenten Prozessen und Dokumenten müssen nicht erneut bearbeitet werden. Ein Nachteil: Gute Systeme unterstützen die Neigung, das Prinzip des „Reduzierens auf das Wesentliche“ zu vernachlässigen. Aber alle definierten Prozesse wollen gepflegt, früher oder später intern auditiert und messbar sein. 

Prozesslandkarte als Kern des Qualitätsmanagementsystems

In der Schlussphase wurde das System aufgesetzt und die Prozesse einer Prozesslandkarte mit Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozessen zugeordnet. Neben der Prozesslandkarte bildeten das Organigramm, die Dokumentation mit allen für die erfolgreiche Auditierung nach DIN ISO 9001 und DGVM ZERT notwendigen Dokumenten und ein Ablagesystem aller für die Verbandsarbeit relevanten Dokumente (Regularien, Anweisungen, Vereinbarungen, Übersichten, Checklisten etc.) wichtige Bestandteile des QMS. Im Rahmen einer internen Schulung wurden die Mitarbeiter mit dem QMS bekannt gemacht. Hier wurde auch über den anstehenden Termin der Systembegutachtung informiert, um die Reihen intern zu schließen und Bedenken zu zerstreuen.

Vor der eigentlichen Zertifizierung, die mit Beteiligung des Ehrenamtes, des Management-Teams und mehreren Mitarbeitern zwei Tage in Anspruch nahm, wurde ein Vor-Audit mit dem gleichen Auditor in Anspruch genommen. Vor dem Hintergrund des umfangreichen Kataloges der DGVM ZERT war dieser sozusagen „erste scharfe Durchlauf ohne Konsequenzen“ eine sinnvolle Investition. Letzte Abweichungen von den Anforderungen des Kataloges konnten so rechtzeitig beseitigt werden.

Im Rahmen der Umsetzung des Projektes Zertifizierung und Einführung eines Qualitätsmanagementsystems beim Immobilienverband IVD ergaben sich drei Bereiche, denen eine hohe Aufmerksamkeit zukam:

  • die Formalisierung der kontinuierlichen Verbesserung der Projekte und Prozesse des Verbandes,
  • die Messbarkeit der Prozesse und die Managementbewertung.

Letztere ist eines der Kernstücke der DIN EN ISO 9001 und darauf aufbauender Normen. Leitungsaufgabe, Bilanz, Soll-Ist-Vergleich etc., wie auch immer Sie die Forderung interpretieren und das Resultat nennen. Die ehrenamtliche und hauptamtliche Führungsspitze des Verbandes muss sich regelmäßig und termingerecht mit der Qualität der Verbandsleistungen und der strategischen und operativen Zielerreichung beschäftigen. Die Kür, die im Tagesgeschäft so häufig unter die Räder kommt, wird zur Pflicht. Die Managementbewertung beim IVD fand regelmäßig im Rahmen eines Abstimmungsgesprächs des Managementteams und einer Sitzung des ehrenamtlichen Präsidiums statt  und wurde entsprechend protokolliert.

Verbesserungsmöglichkeiten protokollieren

Das Normprinzip der kontinuierlichen Verbesserung bekam mit den „Verbesserungsreports“ eine feste Form. Die Durchsetzung im Team, d. h. das selbstständige und eigenverantwortliche Verfassen entsprechender Reports nach dem Abschluss eines Projektes durch den Projektverantwortlichen, gestaltete sich als anhaltend große Herausforderung. Zum einen erfordert die Dokumentation auch eigener Fehler immer Überwindung. Hinzu kommt, dass in einem sehr kleinen Team mit hohem Workload auch geringe administrative Zeit-
investitionen als Belastung empfunden werden. Da sich einige Projekte in einem jährlichen Zyklus befinden und mögliche Optimierungen schnell vergessen werden, da ständig neue Projekte drücken, bewiesen sich die Reports als wertvolles Instrument. Kein Bereich der Zertifizierung zeigte so deutlich, wie wichtig es ist, dass ein Qualitätsmanagementsystem im Idealfall eine Organisation von oben und unten durchdringt und sich in der Mitte treffen muss. Die Prozessdefinition aus dem Team heraus und nicht von oben aufgesetzt ist hierfür eine wichtige Grundlage, die beim IVD in der zweiten Phase des Projektes gelegt wurde.

Wer macht was, wann, wie und womit?

Mit ein wenig Fantasie lassen sich alle Prozesse messbar machen. Das war die Erkenntnis aus den Zertifizierungsvorbereitungen, die in einer Art Balanced Scorecard mündete, die zum ersten Überwachungsaudit ein Jahr nach der Zertifizierung erarbeitet und präsentiert wurde. Die Idee der Verdichtung von Kennzahlen in verschiedenen Prozessbereichen ließ sich über eine Excel-Tabelle gut darstellen und mit begrenztem Aufwand pflegen. Wie im Bereich der kontinuierlichen Verbesserung liegen auch hier die Hürden in der Durchdringung des Teams. Wird ein derartiges Controlling-Instrument von allen Prozessverantwortlichen regelmäßig bedient, läuft es fast von alleine und dem Managementteam verbleiben die Interpretation der Kennzahlen, Festlegung der Planungswerte und der Abgleich mit den Zielvorgaben des Ehrenamtes.

Lobbyarbeit ist messbar

Ein Beispiel: Der Kernprozess politische Interessenvertretung konnte an verschiedensten Kennzahlen festgemacht werden. Der lobbyistische Erfolg bei der Begleitung eines Gesetzgebungsverfahrens mag vielen unkontrollierbaren Einflussfaktoren unterliegen und damit vom Erfolgsgrad schwer quantifizierbar sein. Tatsache ist jedoch auch, dass Erfolg in diesem wichtigen originären Tätigkeitsbereich Verbänden nicht in den Schoß fällt, sondern das Resultat von Maßnahmen ist, die jede für sich quantifizierbar ist. Wie viel Pressearbeit habe ich zu einem Thema gemacht? Wie viele Abdrucke gab es? Wie viele Hintergrundgespräche wurden mit wem geführt? Wurden alle maßgeblichen Influencer einbezogen? Wie viele Abgeordnete waren auf meinem Jahresempfang? Haben wir ein fundiertes Positionspapier erarbeitet und in die richtigen Kanäle gebracht? Diese und mehr Fragen sind mit ja, nein oder einer Zahl zu beantworten. Sie bilden damit eine gute Grundlage, den Prozess politischer Interessenvertretung messbar zu machen und zu kontrollieren, ob selbst gesteckte  Ziele  verfolgt werden. Wenn sich zu jedem maßgeblichen Prozess ein halbes Dutzend Fragen und Kennzahlen finden lassen, wird vorstellbar, dass ein sorgfältiges Monitoring einen gewissen Aufwand mit sich bringt.

Fazit und „Lessons Learned“

Das Gedächtnis schreibt mit goldener Feder und negative Eindrücke der Vergangenheit werden schnell verdrängt. Eine rückblickende Bewertung des Aufwandes und der Mühen, die die Implementierung eines QMS erfordert, ist wenig hilfreich. Ein Zertifizierungsprozess oder die Vorbereitungen an sich sind eine wertvolle Prozessinventur. Es wird der Standort einer Organisation bestimmt, Ziele definiert, Ballast erkannt  und ggfs. beseitigt. Es wird entschleunigt, um danach umso mehr beschleunigen zu können.

Die DQS GmbH als erste deutsche Zertifizierungsgesellschaft umschreibt das so: „Ein Unternehmen verfügt über ein wirksames Qualitätsmanagementsystem, wenn klare Unternehmensziele formuliert wurden. Das Erreichen dieser Ziele muss sich in messbaren Ergebnissen widerspiegeln – basierend auf aussagekräftigen Kennzahlen aus effizienten und transparenten Prozessen.“

So weit so gut, aber über ein wirklich wirksames QMS verfügt eine Organisation nur dann, wenn dieses im operativen Tagesgeschäft immer wieder mehr Nutzen stiftet, als Ressourcen zu binden. Es sollte nicht Staub ansetzen, bis sich der Auditor zum Überwachungsaudit vorstellt, und durch Transparenz, Übersichtlichkeit und gute Bedienbarkeit überzeugen. Das ist die wesentliche Erkenntnis, die beim IVD sicherlich zu einer Weiterentwicklung eines sehr umfangreichen QMS führen wird.

Um den wahren Nutzen eines guten QMS zu erkennen, ist nüchterne Distanz hilfreich. Das System garantiert keine Qualität, aber eine saubere Dokumentation, die sinnstiftend für eine Organisation zum Einsatz kommen muss. Das wird schlussendlich auch deren Qualität verbessern. Ansonsten täte ein gehässiger Volksmund wirklich Wahrheit kund, der sagt „ISO = Idioten sammeln Ordner“. Wird das Qualitätsmanagement nicht als Allheilmittel, sondern als sinnvolle Ergänzung betrachtet, die nicht zur belastenden Bürokratie führt und der Organisation alle Flexibilität gegenüber dynamischen Gesellschaften und Märkten lässt, kann es mit der Implementierung eines QMS einen festen Platz bekommen. Ob ein Qualitätsmanagementsystem auch zertifiziert werden sollte und muss, hängt von den Zielen und ein Stück weit vom Geldbeutel ab.          

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Autor/in

Nils Werner

ist Geschäftsführer des Immobilienverbandes Deutschland IVD Region Berlin-Brandenburg. Der Staatswissenschaftler und Master of Business Administration arbeitet zudem freiberuflich als Dozent für Marketing und allgemeine Managementthemen.

http://www.ivd-berlin-brandenburg.de

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